Beginn des Inhalts.

2016-06-19

Der Seitenwagen wird tiefer gelegt

Manche Provisorien überdauern Jahrzehnte. Solange sie funktionieren, ist es ja egal. Eines davon war die Lage unseres Seitenwagens. Die Schnauze stand schon immer zu hoch und das ganze Boot auch. Zur Erinnerung: Je tiefer der Beiwagen liegt, umso besser fährt sich das Motorradgespann, vor allem wegen des tieferen Schwerpunkts.

Anfang Juni 2016 hatten wir bei Horst schon einen neuen Seitenwagen­anschluss vorbereitet. Der löste jedoch eine Art „Kettenreaktion” aus, und als Folge wurde weit mehr umgebaut als geplant und der gesamte Seitenwagen deutlich abgesenkt.

Natürlich passiert sowas genau ein paar Wochen vor einer geplanten Reise - also drängte die Zeit. Hier folgt der Bericht.

Abschnitte dieser Seite:

 

Planung und der neue Beiwagen–Anschluss vorn

Das Grundübel - schnell festgestellt - war die vordere Anschlussklaue für den Seitenwagen. Da musste eine mit mehr Hub her. Eine Konstruktions­zeichnung (CAD) ergab, dass 100 mm Hub richtig seien.

Leider war ein passender Anschluss nicht lieferbar, also musste einer mit einem etwas zu dünnen Anschlussrohr umgebaut werden. Kein Problem, oder fast nicht!

Grau ist alle Theorie. Es erwies sich schnell, dass das Anschlussrohr nicht so weit in den Seitenwagenrahmen 'rein wollte. Das war echte Quälerei- wir mussten den aufgeschweißten Teil kürzen und trotzdem noch lange mit der Feile nachbearbeiten, bis er bombenfest und richtig im Seiten­wagenrahmen steckte.

Alles prima, irgendwann „saß” das Teil. Dann folgte aber schnell Ernüchterung. Zwar ließen sich Vorspur und Sturz richtig einstellen - quer zur Fahrtrichtung stand der Wagen jedoch schief (zum Motorrad hin geneigt), und das auch in den Endstellungen der Klauen.

Nach einem Bier und Einschalten des Hirns dann kam die Erleuchtung: Das Seitenwagenrad muss höher stehen. Dafür braucht es ein kürzeres Federbein (das jetzige ist schon vorgespannt) und natürlich die Umsetzung des Kotflügels.

Das ist prinzipiell so schlecht nicht, aber woher so schnell ein passendes Federbein mit Dämpfung nehmen?

 

Wenn schon, denn schon: neues Federbein

Unser originales Federbein hat halt eine Feder - viel mehr aber auch nicht. Es ist überaltert, die Öldämpfung nahezu tot, und von Progression kann keine Rede sein.

Das Angebot im hochpreisigen Bereich ist enorm, aber da das Teil nur wenig federn soll, durfte es etwas Simples sein. Auch wichtig: Neben der Länge sollten die Augen passen, um Bastelarbeit zu sparen.

Mit Glück fand sich in der Bucht ein Teil, dass nach der Beschreibung gut klang. Unser Problem: Das Maß von Auge zu Auge entspricht dem gängiger Mofas - und da gibt es Angebote, bis der Arzt kommt. Das qualitativ beste Federbein schied wegen zu hoher Belastbarkeit aus (980 lbs = 403 kg). Das Zauberwort war „Quad” - da gab's was.

Und Tatsache, nachdem das Teil im Haus war, machte es einen sehr tauglichen Eindruck. Die progressiv gewickelte Feder hat 7 mm Durchmesser. Schon „progressiv” ist weit besser als vorher.

Klar waren die Folgen: Der ohnehin von einem Fluch beladene Seiten­wagen–Kotflügel musste wieder 'mal umgesetzt werden. Na danke, das bedeutet stundenlange Bastelei und einen Besuch im Baumarkt. Aber auch das gilt es positiv zu sehen: Vielleicht ist dann endlich 'mal Ruhe im Karton mit dem Teil (und die aktuell nach vorne geneigte Positionsleuchte wieder senkrecht)! Das, so zeigte sich später, war ein Trugschluss - der Kotflügel–Fluch bestand weiter.

Alles in allem gilt immer noch die goldene Regel: „Gut, wenn es jetzt passiert.” und das Elend nach 28 Jahren ein Ende findet.

 

Umbau, Teil 1: Federbein

Beim Tausch standen gleich vier Aufgaben an.

  • Wechsel des Federbeins.
  • Umsetzen des Kotflügels, diesmal mit genug Luft und gerade.
  • Einstellung der Gespann–Geometrie.
  • Prüfung, ob eine zusätzliche Vorspannung gegen negative Federwege nötig ist, im Bedarfsfall Anpassung, sonst weg damit.

Speziell beim Kotflügel sollte diesmal alles besser werden als bisher.

Kurz vor einem der für Mai und Juni 2016 typischen Wolkenbrüche wurde das Bein flugs getauscht. Zum Glück passte das Rad dann gerade noch so unter den Kotflügel. Und das Ergebnis war super: Der Wagen stand gerade, jetzt vorne rund 7 cm und hinten etwa 4 cm tiefer - saustark! Wie sofort klar wurde, stimmte auch die Federkraft - ich konnte da nur mit viel Kraft und Stoß etwas bewegen.

Die Ausfederbegrenzung blieb im Einsatz, denn damit lässt sich die wegen des Starrhecks unerwünschte negative Federung vermeiden. Und Tatsache, bei entspanntem Federbein steht das Stahlseil straff.

Was noch fehlte, waren Distanzhülsen an den Augen. Als Provisorium geht es jedoch erst einmal auch ohne.

Beim Anblick des modernen Teils an der Schwinge kam Freude auf - wieder eine historische Altlast weniger und mehr Sicherheit.

 

Umbau, Teil 2: Kotflügel

Nachdem die Kotflügel–Anbringung schon so oft schief gelaufen war, sollten diesmal Nägel mit Köpfen gemacht werden. Nicht nur, dass das Aluteil vorher schon zu tief lag, es war auch in Längsrichtung schräg angebracht. Die Stabilität der Anbringung ließ auch zu wünschen übrig - schon beim Victoria–Treffen in Miehlen 2015 hatte es uns eine Strebe durchvibriert.

Ein Anbringungspunkt - der ganz hinten - war (quer) gut und sollte als Startpunkt bleiben, zumal er drehbar ist. Dann sollte der Kotflügel erst einmal mit Spannriemen und Abstandshaltern auf dem Rad fixiert werden, um die neuen Befestigungen aus Alu 20 × 5 mm anzufertigen.

Das Problem dabei: Es war nicht ganz klar, wie weit das Rad in extremen Situationen einfedert. Wegen der sehr kräftigen Feder ging ich davon aus, dass es gut 5 cm Abstand bis zur Mutter der Positionsleuchte tun sollten.

Der Beiwagen–Kotflügel hat nach dem Umbau genug Luft.
[ ± ]. Die Leuchte steht auch gerade.

Zu meiner Überraschung klappte die Anbringung diesmal auf Anhieb und ohne Probleme. Eine vierte Strebe kam in der Mitte dazu. Das erste Bild des Abschnitts zeigt, dass da jetzt genug Luft nach oben ist. Außerdem stimmt jetzt die Lage in Fahrtrichtung (siehe weiter unten).

Auf dem zweiten Bild ist gut zu erkennen, dass das Federbein gut zu der geschobenen Schwinge passt. Federbein und Hebel stehen nahezu rechtwinklig zueinander.

 

Vergleich vorher / nachher

Das Victoria–Gespann im März 2016, mit hoch liegendem Beiwagen.
[ ± ]. Der Zustand bis Juni 2016.
Endlich - der Beiwagen der Victoria ist ordentlich tiefer gelegt.
[ ± ]. Das tiefer gelegte Boot.

Die Bilder im Vergleich zeigen es mehr als deutlich. Achtet zum Vergleich 'mal auf die Tagfahrleuchten. Deren Anbringung wurde nicht geändert, dennoch stehen sie jetzt auf gleicher Höhe. Zweitens lohnt ein Blick auf den Abstand zwischen Seitenwagenrahmen und Straße. Drittens: Der Seitenwagenkotflügel steht jetzt vorne parallel zum Rad und nicht mehr nach innen geneigt.

Das fährt sich deutlich besser. Allerdings gilt es jetzt bei abenteuerlichen Strecken etwas aufzupassen. Ich bin früher mit dem Rahmen oder Bootsboden öfters aufgesetzt im Gelände, und das ist nicht so prima. Daher gilt: kein empfindliches Teil unter dem Seitenwagen!

 
 
Ende der Seite.