In den 1930er bis 1950er Jahren war es noch üblich, kleine Gespanne mit nur einer Diagonalstrebe („Dreipunkt–Anschluss”),
ungebremsten Seitenwagenrädern und den kleinen Reibscheiben am Lenkkopf als „Flatterbremsen” (Lenkungsdämpfer) zu bewegen.
Bei den bescheidenen Fahrleistungen und dem geringen Verkehrsaufkommen mag so etwas noch tolerabel gewesen sein. Heute werden
jedoch vorwiegend Freunde der Originalität ihre Seitenwagen so bewegen, denn ganz zeitgemäß ist das nicht mehr und obendrein riskant.
Wer weniger Wert auf den Originalzustand legt, dafür aber mehr auf Sicherheit und Fahrspaß, findet hier ein paar Tipps.
Abschnitte dieser Seite:
Bei einem Gespann mit Dreipunktlagerung (also nur einer Diagonalstrebe) gibt es einen statischen Schwachpunkt, und das ist der Bereich
zwischen dem Anschluss und dem Lenkkopf. Auf Gespanne wirken enorme Kräfte ein. Daher kann es leicht passieren,
dass sich simple Rahmen wie die der Victoria–Motorräder KR25 oder KR26 wenn auch nicht statisch verwinden, so doch
leicht nachgeben, vor allem jedoch großen Belastungen ausgesetzt sind. Im Prinzip wird der Hauptrahmen dazu neigen, sich um den
oberen Anschlusspunkt der einzigen Diagonalstrebe zu verwinden.
Mathe–Freunde können hier leicht errechnen, wieviele Kilopond Druck und Zug hier am Werk sein können. Für die weniger Fleißigen unter uns:
Es ist unglaublich viel! Das gilt noch mehr für Speichen, Naben und derlei. Abhilfe schafft hier ein vierter Anschluss vorne.
Das Bild zeigt die neue, vordere Diagonalstrebe der Victoria KR26. Sie wurde aus einem 1/2"–Wasserrohr
angefertigt. Das hat nichts mit dem Außendurchmesser zu tun - der beträgt rund 22mm und passt damit optisch
gut zum KR25–Starrheck.
Oben stützt sich die Strebe an der vorderen Tanklagerung ab (mit einer Gabelmutter und Augenschraube, letztere aus VA) und
unten mit der Schelle einer Harley–Davidson im Bereich schon unter dem Seitenwagen an dessen Rahmen.
Die Augenschraube oben dient der Feinjustierung.
Ende des Jahres 2016 wurden beide Diagonalstreben durch bessere und längere Neubauten ersetzt.
Die ab Werk wie bei den meisten alten Motorrädern vorgesehenen Reibscheiben der sogenannten „Flatterbremse” mögen im neuen
oder tadellosen Zustand ihren Zweck erfüllen. Bei Gespannen sind sie überfordert - da muss etwas besseres her.
Die hier (und 1988 schon) gewählte Lösung ist ein Lenkungsdämpfer der VW–Bus Modelle der Baureihe T1, den
es heute noch neu zu kaufen gibt.
Ein besonderer Vorteil dieses Typs ist der große Weg. Daher sind die Halterungen bei den kleinen hier gefragten Winkeln leicht anzupassen.
Der Dämpfer sollte an der Bohrung für den Bremszug an der unteren Gabelbrücke angebracht werden - denn eigene größere Bohrungen
könnten das Missfallen der Sicherheitsbehörden verursachen.
Der Halter an der vorderen Diagonalstrebe (siehe Bild des letzten Abschnitts) ist ein Meisterstück des Lieblings–Schweißers Horst.
Eigentlich für eine Harley gedacht, passte das Pulver–beschichtete Werkstück optimal zu Dämpfer und Strebe.
Der zunächst eingebaute Kugelkopf erwies sich später als nicht so gut und wurde entfernt. Die Lagergummis des Dämpfers tun's auch.
Um die Mitte herum passiert da noch nicht viel, ein leichtes Flattern ist also noch möglich. Das dürfte bei den geringen Geschwindigkeiten
aber kein Thema sein. Interessanter wird es bei Bodenwellen, Spurrinnen oder Schlaglöchern und höherer Geschwindigkeit - die Lenkung bricht
nicht mehr aus.
Leider kann dem Gespannfahrer noch weiteres Ungemach drohen - und zwar an den Anschlüssen für den Seitenwagen, die typischer Weise
mit Spannglocken auf Kugeln und einer Klemmung am Beiwagen–Rahmen ausgeführt sind (zumindest bei den alten Mopeds).
Wenn da eine solche Glocke nämlich einen größeren Hub hat und mehr oder minder waagerecht steht, können die auf das Fahrwerk einwirkenden
Kräfte durchaus so groß werden, dass beide Klemmungen (Glocke und Rahmen) versagen und sich verstellen. Das ist durchaus möglich, und das
Motorrad wird dann meist zum Seitenwagen hin kippen beziehungsweise dieser links absacken. Das ist ein konzeptionelles und statisches Problem.
Abhilfe kann hier ein Zuganker wie bei einer Bremse schaffen. Der muss jedoch so konzipiert sein, dass er an beiden Seiten
kardanische Aufhängungen hat. Kugelköpfe sind da nicht so gut - besser sind Kombinationen aus Gabelköpfen und Augenschrauben.
Tatsächlich hatten wir das Problem schon öfter und werden berichten, wenn auch das gelöst ist. Ein weiteres Thema ist, dass durch den
Druck oder Zug eine Glocke aus der Spannhalterung rutschen kann.
Auch mit der Verbesserung der Anschlüsse und der vorderen Diagonalstrebe ist es leider oft noch nicht getan. Die Rahmen unserer kleinen
Beiwagen sind oft nicht mehr als ein simples Rechteck aus Rundrohr und neigen dazu, sich diagonal zu verwinden - was nicht so prima ist.
Es ist bekannt, dass ein Dreieck bei zwei Ebenen die stabilste Verbindung ist (siehe den Zuganker vom letzten Abschnitt). Hier ist aber weder
nach oben noch nach unten Platz für ein genügend großes Dreieck vorhanden.
Daher muss in eine andere Richtung gedacht werden. Damit sich das Rechteck verwinden kann, müssen sich die rechte und linke Längsstrebe
gegeneinander verdrehen. Werden da nun noch eine oder gar zwei Querstreben eingeschweißt, ist das Problem meist gelöst.
Sehr wahrscheinlich genügen dafür ½"–Wasserrohre mit 3 mm Wandstärke -
wenn sie noch kleine Versteifungswinkel bekommen.
Unser Seitenwagen hat eine geschobene Schwinge mit einem Federbein (Öldämpfung).
Wenn es also mit dem rechts angeschlagenen Seitenwagen in die Rechtskurve geht oder dessen Bremse betätigt wird (die durchaus
so gut ist, dass sie bei 30km/h noch das Rad blockieren kann), muss der Fahrer davon
ausgehen, dass sich die Schwinge aufstellt. Das ist besonders alleine, ohne Beifahrer im „Boot”, nicht so prima.
Hätte das Motorrad Hinterradfederung, wäre eine negative Federung besser - so ist sie jedoch eher kontraproduktiv.
Das Foto des Abschnitts sagt eigentlich alles. Ein Stahlseil ist hinten am Hebel für das Federbein unten und vorne am
Seitenwagenrahmen gelagert. Beim Einfedern kann es leicht durchhängen, aber beim Ausfedern oder Bremsen (oder auch in Ruhestellung)
verhindert es, dass sich die Schwinge aufstellt und damit alle unsere schönen Erklärungen zum Thema
Gespanngeometrie zunichte macht.
Die Einstellung erfolgt am besten mit einem „typischen” Passagier im Boot und erfolgt über die vorderen Klemmschellen.
Wichtig! Die Seilschellen müssen sehr gut sein. Auf das Seil wirken große Kräfte. Die erste Ausführung mit Einfachschellen ist glatt aufgerissen.
[ ± ].
BMW R27
mit Schwinggabel.
Eine Schwingengabel mit einteiliger Schwinge ist für Motorradgespanne wesentlich geeigneter als eine Teleskopgabel (Telegabel), weil das
Vorderrad stabiler geführt wird. Leider ist es sehr schwierig, eine passende Ausführung für die Victoria–250er zu finden und anzupassen.
Bei vielen Schwingengabeln wie der im Bild gezeigten lässt sich der Nachlauf des Vorderrads einstellen. Der darf bei Gespannen durchaus
ziemlich kurz sein (Rad weiter hinten) und verbessert dann deutlich die Lenkbarkeit - allerdings eventuell auf Kosten des Geradeauslaufs.
Ein weiterer Vorteil: Beim Bremsen neigt die Schwinge dazu, sich aufzurichten. Das gleicht die dann erhöhte Belastung der Gabel aus.
Die Gabel der Victoria KR26 (und mehr noch der KR25) ist leider kein Glanzlicht
in puncto Verwindungssteifheit und Stabilität. Das alte Gespann von 1988 hatte eine Gabelbrücke aus kräftigem Rohr
(siehe zweites Foto). Das war schon deutlich besser. Den brauchen wir nicht mehr, denn seit Juli 2017 haben wir eine auf Basis von
Horex–Standbeinen selbst gebaute Langschwingengabel im Einsatz.
Noch ein Wort zu den Rädern: Die Räder mit den Halbnabenbremsen („Schuhcremedosen”) sind für den Gespannbetrieb nicht geeignet.
Schon bei der zweiten Fahrt über den Gotthard rissen gleich vier (neue!) Speichen auf der Seite mit dem kleinen Nabenkranz ab.
Mit den viel kürzeren Speichen der KR26 ist der Gespannfahrer auf der sicheren Seite. Das dachten wir zumindest, bis wir
2016 auf Elba eines Besseren belehrt wurden (Symbol: zwinkern).