2015-11-30
Freunde von Veteranen–Motorrädern liebäugeln oft mit verschiedenen Marken und Modellen. Besonders die Entscheidung für ein erstes,
„betagtes” Schätzchen will dabei gut überlegt sein, schließlich muss das „Mopped” halbwegs zum Budget und den
eigenen handwerklichen Fähigkeiten passen - denn ohne die wird das Hobby kein Langzeitspaß.
Auch als bekennender Victoria–Fan werde ich hier kein pauschales Loblied auf die Zweitakter aus Nürnberg anstimmen,
sondern versuchen, die Argumente (pro & contra) einigermaßen objektiv aufzuzeigen.
Die kleinen Kisten haben nämlich auch durchaus ein paar Schwächen und schneiden im Vergleich zum Wettbewerb nicht überall prima ab.
Abschnitte dieser Seite:
Wer seine ersten Schritte mit einem Oldtimer–Motorrad macht, sollte einen Zweitakter wählen. Der einfache
Grund: Die Technik ist viel einfacher als bei Viertaktmotoren. Es gibt viel weniger bewegte Teile und damit weniger Risiken. Auch haben
Zweitakter durchschnittlich ein bisschen mehr Leistung als zeitgleiche und vergleichbare Viertakter.
Das Angebot ist jedoch breit gestreut. Viele deutsche Motorradhersteller hatten Zweitaktmodelle mit 200 oder
250 cm³ Hubraum im Angebot, so Adler, DKW, NSU, Zündapp und viele andere,
von den vielen ILO–Motoren zu schweigen. Bei allen großen Marken sind inzwischen die Ersatzteilversorgung und das im
Web verfügbare Know-How (beispielsweise in Foren) gut bis sehr gut.
Unter diesem Aspekt ist es fast egal, auf welche Marke und welchen Typ die Entscheidung fällt.
Nun ist jedoch die Überholung einer Adler weit komplizierter als die einer Victoria. Die einfachste Technik ist jedoch für den Start stets die beste,
und da können die kleinen Zweitakter aus Nürnberg punkten. Besonders die späten Modelle (KR25 HM und
KR26 Aero, N, N Sport) sind ziemlich ausgereift und robust dank einer kontinuierlichen Weiterentwicklung seit den 1930er Jahren -
und sie haben schon die „Schnürle”–Spülung.
Im folgenden Abschnitt gehen wir auf weitere Vor– und Nachteile ein.
Wer sich hier schon umgesehen hat, ist wahrscheinlich auch schon über behebbare Mängel gestolpert (bei den Motorrädern, nicht der
Website (Symbol: zwinkern)).
Der größte Mangel (eine persönliche Einschätzung) ist das zu hohe Gewicht bei zu wenig Leistung. Eine KR26 bringt
fahrbereit bei höchstens 14,1 PS ab Werk 151 kg auf die
Waage - das ist viel zu viel. Auch 1954 waren schon weit höhere Literleistungen drin. Andererseits steht eine BMW
R25/3 keinen Deut besser da (150 kg, 13 PS).
Die Modelle mit starrem Heck können da eher punkten (127 bis 133 kg bei 8,5 bis
11,5 PS).
Aber nicht so schnell! Wer sich ein bisschen Mühe gibt, kann einem guten Motor durchaus legale Mehrleistungen
innerhalb der zulässigen Toleranzen entlocken, und wer nicht unbedingt Wert auf Originalität legt, kann auch amtlich Gewicht sparen.
Kommen wir zu den Pluspunkten. Erstens sehen die Motorräder gut aus, dem umstrittenen Richard Küchen sei Dank (der nicht
„Form follows function”, sondern „Function follows form” predigte). Zweitens ist mit der
Victoria–IG eine Truppe am Start, die weiterhilft (wenn auch teils unwillig).
Besser klappt das bei „nicht–Funktionären”. Drittens ist die Ersatzteilversorgung nicht nur durch Altbestände, sondern auch durch
Nachfertigungsaktionen ziemlich gut - ein wichtiges Argument! Es gibt nur sehr wenige Teile, die problematisch werden können.
Die kleinen Kisten fahren doch nicht so schlecht und sind normalerweise sehr zuverlässig.
Nicht zuletzt wachsen die online verfügbaren Informationen zunehmend, und gute Angebote sind
teils noch um vertretbares Geld zu haben.
Eine gute erhaltene Victoria mit schöner Original–Patina muss nicht unbedingt top–restauriert werden und sollte auch nicht unbedingt für Umbauten
genutzt werden.
Es gibt jedoch genug „Material”, um damit eigene Vorstellungen zu realisieren, was angesichts der (fast) Baukastentechnik ab Mitte der
1930er Jahre leicht ist. So wurde am Hauptrahmen der 200er und 250er Modelle über die Jahre nur wenig geändert, alle mit starrem Heck sind nahezu
identisch. Wer sich also einen „Bobber” mit Trapezgabel und HM–Motor bauen möchte, wird technisch keine Probleme haben (und beim
TÜV auch nicht grundsätzlich). Die Aufhängung aller 250er–Motorblöcke ist identisch, und die bei vielen 200ern auch.
Unser Gespann ist ein gutes Beispiel dafür - es ist nicht original, sieht aber aus wie eine schlüssige Weiterentwicklung.
Interessenten sollten darüber nachdenken, eines der Jahrestreffen der Victoria–IG zu besuchen.
Da lässt sich am besten ein Eindruck der soliden Motorräder aus Nürnberg gewinnen - und einer von der Gemeinschaft der „Victorianer” auch jenseits
der IG–Grenzen.
Übrigens: Seit Juli 2015 wurde hier schon vielen Leuten ferndiagnostisch geholfen, ihre 250er Victoria zum Laufen und / oder über den
TÜV zu bekommen - jeweils mit Erfolg!