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1993: Die letzte Reise nach Sardinien

2013, zum 25. Jubiläum der von mir gegründeten Victoria–IG, war es 20 Jahre her, dass ich mein Gespann gefahren hatte. Die letzte Reise war gleichzeitig die mit den meisten Abenteuern und Erlebnissen, und obwohl sie das „Aus” bedeutete, denke ich immer noch gerne daran zurück.

Kurz zuvor hatte ich mit und für Martin eine KR26 überholt, und so waren wir zum zweiten Mal mit zwei Victoria–Motorrädern unterwegs. Seine Freundin kam später nachgeflogen (was auch gut so war, siehe weiter unten), aber Wolfgang hatte (Hut ab!) seine Frau auf der Zündapp DB 200 dabei. Ralle mit der BMW R27 vervollständigte das Team.

Schon der Beginn der Reise war ein Highlight - aber davon gleich mehr.

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Bellinzona Connection

Ralle wohnte in Berlin und wollte am Vortag anreisen. Stolz berichtete er, dass seine BMW soeben von einer Fachwerkstatt überholt und eingestellt worden sei. Das klang gut, denn Ralle (er ist leider verstorben) war ein lieber Kerl, jedoch handwerklich nur mittelmäßig begabt (aber kreativ!).

Da Wolfgang und Susanne aus München kommen wollten, beschlossen wir, uns am zweiten Tag abends in Bellinzona zu treffen.

Martin, Ralle und ich zischten also noch ein Bier (oder waren's doch mehr?) und legten uns schlafen. Beim Caffélatte morgens druckst Ralle herum. Ich frage zartfühlend, was ihn denn bedrückt. „Nun ja, ”, murmelt er, „die Kickstarter–Rückholfeder ist gebrochen.”. Seine Miene hellt sich jedoch gleich auf: „Das konnte ich aber mit einem Einweckgummi klären.”. Ich denke mir, sieh' 'mal an, wofür die Dinger alles gut sind. Ich also: „Ja fein, alles kein Thema!”. Die ganze Wahrheit war das aber noch nicht, wie ich bald merkte.

Wir packen also, beladen die Motorräder, und dann wird gestartet. Oder auch nicht. Ralle schiebt die BMW die Straße 'rauf und 'runter - kein Mucks. An der Batterie oder Kerze liegt's nicht.

Schließlich schlage ich vor, Ventilspiel, Zündung und Vergaser doch noch 'mal kurz zu prüfen. Was soll ich sagen, an dem Moped stimmte gar nichts. Wie Ralle es von Berlin bis Frankfurt geschafft hatte, war mir ein Rätsel. Bis das alles wieder passte (Ralle wurde noch berühmt für seine „kurz anschieben, aufspringen, läuft”–Aktionen) war es jedoch schon sehr spät geworden. Martin wusste es noch: „Eher 18 Uhr.”.

Wenn wir rechtzeitig in Bellinzona sein wollten, gab's nur eins: Schnell beim ADAC Vignetten kaufen und die Schweiz mit Autobahn und Gotthard–Straßentunnel durchqueren. Das war nicht witzig (Symbol: zwinkern).

 

Martins KR26

Äußerlich stand sie gut da. Martin und ich hatten uns viel Mühe gegeben. Alleine die Zerlegung der Gabelholme mit dem verfluchten Sprengring wäre eine Geschichte wert. Nicht nur aus Zeitnot hatten wir aber zwei wichtige Punkte vernachlässigt.

Zum einen hatten wir die Kupplungsbeläge nicht geprüft. Das sollte sich rächen, denn spätestens nach ein paar Tagen mit Sozia waren sie am Ende. Wir erklären auf der Seite zum Thema „Kupplung”, wie wir das damals mit selbst ertrunkenen Weinkorken gelöst haben (samt Beweis­foto beim Schneiden und Schleifen!). Das haben wir inzwischen mehrfach gemacht, und das klappt prima.

Zweitens hatten wir den F–Regler nicht ausgelagert, und so hatte Martin oft Kummer mit seinem Ladezustand.

Er war damals das erste Mal dabei, und ich kann ihm nicht verdenken, dass ihm schon in Genua die Strapazen deutlich anzusehen waren. Spaß hatte er sicher auch an der Reise, aber so ganz sein Ding war's wohl doch nicht - spätestens die Rückreise im Schnee war dann doch etwas zuviel.

 

Ein kleines Essen unter Freunden

Unser Lieblings–Campingplatz, Fremde SeiteLa Liccia, war eigentlich schon für die Winterpause geschlossen. Kein Problem, die Jungs machten uns ein Waschhaus auf.

Eines morgens schlendert Dedé heran, einer der Betreiber. Abends würden ein paar Freunde zum Essen kommen - ob wir auch teilnehmen wollen, gegen einen kleinen Obulus von 10.000 Lire einschließlich Getränken? Wir darauf: Na klar! - und ab ging es an den Strand. Zur Erinnerung: 10.000 Lire waren damals etwa 10,- DM.

Als wir gegen 17:00 Uhr zurückkommen, sind wir erstaunt: Alles ist vollgeparkt mit Autos aus Rom, Mailand, Neapel und dem Rest Italiens.

Gegen 19:00 gehen wir zur Terrasse hoch. Dio mio! - eine Riesentafel ist gedeckt, mindestens 100 Leute sitzen schon daran.

Ralle - der eher schmächtig war - kommt zwischen einen Riesen und mich zu sitzen. Ein bisschen italienisch spricht er, aber nicht viel. Der Riese schaut ihn bekümmert an. Während Alberto erlesene Vorspeisen, Wildschwein, Fisch, Geflügel und andere sardische Spezialitäten aufträgt, kümmert sich der Gigant um Ralle und legt ihm ständig nach. Schließlich wendet sich der Freund verzweifelt an mich: „Kannst Du ihn nicht bitten, damit aufzuhören? Ich kann echt nicht mehr!”. Ich versuche es, aber ohne Erfolg. Der Mann hatte sich in den Kopf gesetzt, Ralle innerhalb eines Abends auf sein Niveau zu päppeln.

 

Revanche!

Das mit der großzügigen Einladung konnten wir so nicht stehen lassen. Alle Teilnehmer unserer Fahrt sind Liebhaber der italienischen Küche und kochen gut. Also luden wir die Betreiber für den übernächsten Tag ein. Die einzige Bedingung: Wir brauchen ihre Küche und da vor allem den Gasherd und –ofen. Alberto, der Küchenchef, kraulte grimmig seinen Bart. Seine schöne Küche? In den Händen von Barbaren?

Die Mailänder sahen das etwas entspannter und überzeugten ihn schließlich. Martin, Wolfgang und ich brachen also zum Einkauf auf, nachdem wir den Speisezettel festgelegt hatten (mit der nötigen Flexibilität je nach Angebot auf dem Markt).

Okay, das Foto stammt nicht von der Küche in Sardinien, sondern von einer der besten Küchen Italiens auf Elba. Stellt Euch das viel kleiner vor, dann habt ihr's etwa.

Beim Essen heiterte sich die Miene der Italiener zunehmend auf. Dem Nachtisch sollte der caffé folgen, und der wurde in meiner Maschine zubereitet. Bevor er das Tässchen an den Mund führte, fragte Alberto mit grimmiger Miene: „Avete fatto il giretto?” - zu deutsch, habt ihr umge­rührt? Denn bei den Espresso–Maschinen ist unten immer starker und oben schwacher Kaffee. Nach dem Nicken kostete er - und das Eis war endlich gebrochen.

 

Ein kapitaler Motorschaden

Spät am Nachmittag, wir sind noch ziemlich weit weg vom Campingplatz, tut es in einer weiten Linkskurve plötzlich zwei Schläge im Motor der KR26 und kurz danach noch einen viel übleren.

Na klar, sowas passiert immer kurz vor Einbruch der Dämmerung oder bei Nacht. Wir fahren also an den Straßenrand. Ziemlich schnell wussten wir, was passiert war: Zuerst war ein Kolbenring gebrochen. Ein Stück hatte sich am Auslass verkeilt und dann den Kolben und zweiten Ring mit in den nahezu–Tod gerissen.

Wolfgang und mir gelang es mit einer Schlüsselfeile, die Nut für den dritten, noch heilen Kolbenring zu retten. So richtig viel Kompression gab das nicht mehr, es langte jedoch gerade so für die Fahrt zum Zelt.

Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie bedrückt ich war. Dank Schutzbrief des ADAC wäre eine Heimholung kein Thema gewesen - aber die einmalig gute Kombination von Zylinder und Kolben zerstört …

Am folgenden Morgen war meine Stimmung noch düsterer, nachdem wir das ganze Ausmaß des Schadens bei Tageslicht gesehen hatten. Das einzig Gute: Kein Stück der Kolbenringe war in den Kurbelwellenraum gefallen - dazu war ich zu schnell unterwegs gewesen, sodass der Spüldruck das verhinderte.

 

Aufgeben ist nicht - zunächst!

Gegen Mittag und nach einigen Gläsern Weißwein war ich wieder halbwegs betriebsbereit, zumindest das Hirn tat's. Also beschlagnahmte ich das Telefon der Campingplatz–Betreiber. Zur Erinnerung: 1993 war noch keine Rede von Handys, Smartphones oder dem Web.

Schnell zeigte sich, was wahre Freunde sind. Volker hatte den Zylinder einer Victoria KR25 HM samt passendem Kolben und brachte diese zu Wolfgangs Vater. Der wiederum fuhr sie zum Flughafen, von wo Elke die schweren Teile im Flugzeug nach Olbia brachte.

Das alles fand zum Glück nur kurz nach dem Schaden statt, sodass ich doch noch ein bisschen auf Sardinien herumgondeln konnte. Die wahre Freude war das mit 11,5 PS zwar nicht, aber immerhin.

Das sollte jedoch nicht das letzte Abenteuer dieser Reise bleiben. Gleich wird noch die Rede vom Einfluss des Klimas auf Wein und Schneefall sein.

Immerhin, der ADAC musste nicht zu Hilfe gerufen werden, und die Heimreise klappte auf eigener Achse - so, wie sich das gehört!

 

Geschmacksverlust und Schnee

Weißweinglas und –karaffe.

Auf Sardinien wird in der Gallura ein besonderer Weißwein ausgeschenkt - leicht moussierend, wenig Alkohol, sehr bekömmlich. Kurzum, der schmeckt gut und lässt sich den ganzen Tag über trinken wie Limonade.

Wir also, nicht faul, dachten uns: Davon nehmen wir etwas mit - und ließen uns einen Glasballon mit fünf Litern abfüllen. Dessen Inhalt schwand schon während der Fahrt. Aber je weiter wir nach Norden kamen und je kälter es wurde, desto weniger schmeckte der Wein. Anderthalb Liter schafften es bis in den Münchner Raum - aber da war der Wein schon fast ungenießbar. Falsch war nicht der Wein, falsch war die Luft, die dieser Weiße braucht, um seinen Geschmack zu entfalten.

München ist das Stichwort. Die Frankfurter und Ralle wollten dort einen Zwischenstopp einlegen. Darum fuhren wir nicht über den Gotthardpass, sondern den San Bernardino zurück. Auf dessen Südseite tröpfelte es leicht.

Wegen meiner Untermotorisierung ließen mich die anderen vorfahren. Autsch - das war nicht lustig, und soviel Hupen und Flüche habe ich noch selten gehört. Hinter mir kam eine riesige Schlange aus dem Tunnel.

Das war aber noch nicht alles. Auf der Nordseite gab's heftigen Schneefall (siehe Foto). Der hielt fast bis München an. Das war dann doch zuviel für Martin, und er beschloss, sein Moped erst einmal da stehen zu lassen. Ralle und ich fuhren am folgenden Tag jedoch im Dauerregen nach Frankfurt.

 
 
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