Sportlich engagierte sich Victoria Mitte der 1950er Jahre vorwiegend bei längeren Zuverlässigkeitsfahrten und im Geländesport.
Dort wurden ab 1953 fast serienmäßige KR 26 mit hoch gelegten Auspuffanlagen eingesetzt. Diese Motorräder hatten jedoch
einen gravierenden Nachteil: die Geradwegfederung mit nur 65 mm Federweg - zumal die
Konkurrenz meist schon mit Hinterrad–Schwinge unterwegs war.
Mitte 1954 wurden die Versuchsabteilung und die Mannschaft der Wettbewerbsfahrer (zum Teil in Personalunion) verstärkt.
Harald Oelerich kam von Horex, Hans Best von Hecker und Helmut Radke von Triumph (TWN). Die Männer erkannten
das Problem und lösten es im Winter 1954/1955 ohne offizielle Unterstützung durch die Firmenleitung. Harald Oelerich zeichnete
eine Hinterradschwinge samt einem Heck, das an den Vorderrahmen einer „normalen” KR 26 angeschraubt werden konnte
(weil dieser Rahmen wichtige Millimeter höher ist als der der KR 26 N).
Abschnitte dieser Seite:
Die Hinterradschwinge läuft aus zwei Gründen zunächst steil nach unten, um nach den Federbeinen (die nahezu senkrecht stehen)
im Bogen hoch zur Achsaufnahme zu führen. Nach oben stand nicht mehr Platz zur Verfügung, weil das Konflikte mit den Auspufftöpfen gegeben hätte,
und zweitens sollten eben diese 35 cm langen Stoßdämpfer mit genug Federweg verwendet werden.
Um Platz für die Schwingenlagerung zu schaffen, wurden die Motore (Basis KR 26 N) primärseitig hinter den letzten zwei
Deckelschrauben gekürzt und verschlossen. Die Schwingenachse ruhte in zwei Knotenblechen am Heckrahmen, der ab der Verschraubung etwa im
30°–Winkel nach oben führte. Kurz vor der oberen Federbeinaufnahme war diese Strebe mit der von der oberen Verschraubung zum Vorderrahmen
verbunden. Letztere führte (dünner) weiter, um das schmale Schutzblech hinten zu halten. Das Rohr der Schwinge hatte etwa
30 mm Durchmesser.
Die Konstruktion war in mehrerer Hinsicht nicht so geglückt. So neigten die Schwingen unter anderem dazu, sich im Bereich vor der
Federbeinaufnahme zu verbiegen. An einigen Maschinen wurden nachträglich Versteifungsbleche angeschweißt, die letzten Schwingen hatten
von Anfang an stabilere Versteifungen.
Helmut Radke und Hans Best bauten zunächst zwei solche Maschinen. Sie wurden erstmalig bei der Schweren Schwäbischen Geländefahrt im März 1955
eingesetzt. Bei der Drei–Tage–Fahrt (27. bis 30. Juni 1955) in Isny starteten Georg Goppert und Helmut Radke damit und holten eine Goldmedaille.
Die Motore waren ebenfalls modifiziert (dazu gleich mehr).
Insgesamt wurden sieben Maschinen gebaut. Vier davon waren Werksmotorräder (eines als Reserve), zwei gingen an Privatfahrer mit guten
Beziehungen zum Werk. Einer davon war Volker Rauch, freier Mitarbeiter der Zeitschrift „Das Motorrad” und Sohn von Siegfried Rauch,
der dort zeitweise Chefredakteur und später Leiter des Kundendiensts bei Victoria war. Die siebte Maschine wurde für den Vertragshändler
in Miehlen, einen Spitzenkunden, geliefert.
So wie die Fahrwerke der vier Schwingen–KR 26 wurden auch die Motore kontinuierlich weiterentwickelt. Allen gemeinsam war
wohl, dass die Schwungmassen für eine bessere Drehzahlentfaltung drastisch abgedreht wurden (siehe dazu den Beitrag
„Schwungrad erleichtern, Kurbelwelle wuchten”), die Überströmkanäle vergrößert und 26er–Vergaser
montiert wurden. Dazu muss wohl auch der Ansaugtrakt geweitet worden sein (Symbol: zwinkern).
Die Leistung der ersten dieser Motorräder wurde mit bescheidenen 16 PS angegeben.
Das kann eigentlich kaum stimmen, denn die sind schon durch leichte Überarbeitung und Anpassung der Originalmotore zu haben.
Ab wann genau die Zylinderköpfe modifiziert wurden, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde die Brennraumform optimiert und die Verdichtung
von 1:7,2 auf 1:7,5 erhöht. Die erfahrenen Männer der Versuchsabteilung wussten wohl schon, dass die seitlichen Quetschfalten der
KR 26 N nicht so günstig waren. Eventuell schweißten sie die niedrig verdichteten Köpfe der KR 26 auf, mit einer
symmetrischen Quetschfalte und halbkugeligem Brennraum wie hier beschrieben. Auf einigen
Fotos ist zu sehen, dass die Zündkerze dann senkrecht in der Mitte lag (siehe Werksfoto unten).
Die zunächst nach unten und später nach oben führenden Krümmer kamen nicht mehr zum Einsatz - sie waren wohl zu lang. Auch wurde mit
modifizierten Auspufftöpfen experimentiert. Diese hatten teils gekürzte Mittelteile, alle jedoch etwa 20 cm
lange Endrohre.
Zumindest die Maschine von Helmut Radke erhielt 1957 den Einport–Zylinder eines Zündapp Janus–Kleinwagens mit am Motorblock verschlossenen
Überströmkanälen und dessen Zylinderkopf (siehe weiter unten).
Mit Fahrwerksänderungen hatte Victoria schon öfter experimentiert. So gab es einen heute eher skurril anmutenden Versuch, die Handlichkeit
beim Geländesport mit 16"–Rädern zu verbessern. Das war in steinigem Gelände und Flußbetten jedoch eher
kontraproduktiv (Symbol: lachen) . Ein Foto zeigt eine Schwingenmaschine bei
Eckernförde, wie sie im April 1955 direkt vor der Ostsee über Fußball–große Steine fährt.
Alle Wettbewerbs–KR 26 hatten Stahlfelgen und zunächst 19"–Räder. Die Leichtmetallfelgen waren
für das Gelände zu weich und nur mit 18" verfügbar. Die vorderen Schutzbleche wurden hochgelegt und an der
unteren Gabelbrücke sowie an dem Bügel des vorderen Startnummernschilds befestigt, wahrscheinlich, damit sich Schmutz, Schlamm und Steine
nicht darin fangen konnten (siehe zweites Foto der Seite).
Zumindest die Maschine von Helmut Radke erhielt Ende 1956 oder Anfang 1957 eine Grotz–Gabel samt passender, kleiner Lampe (beide von Triumph)
mit einem 21"–Vorderrad (und wieder dichter anliegendem Schutzblech). Das Hinterrad hatte nun 18",
der Tank stammte von einer KR 21 „Swing”. Dazu kam ein Kettenschlauch von MZ statt des Kastens aus Blech. Das war die
höchste und letzte Ausbaustufe (siehe Foto).
Sowohl die Änderungen an den Fahrwerken wie auch am Motor und den Auspuffanlagen zeigen recht deutlich, dass mit diesen Motorrädern
vom Konzept der weitgehenden und werbewirksamen Seriennähe abgewichen wurde. Das war auch dringend nötig, um den Anschluss nicht zu
verlieren. Die Schwingen schafften es nicht mehr in die Serie - dazu war der Motorradmarkt schon 1955 zu stark eingebrochen.
Um Ende 1979 herum bekam Manfred Sprenger eines der Fahrwerke mit einem Rumpfmotor als Beigabe bei einem KR 26–Kauf.
Erst später fand er über ein Hinweis von Volker mit dem Ausschnitt der Zeitschrift „Das Motorrad” (7/55) heraus, dass das keine Heimbastelei war,
sondern von einer der Wettbewerbmaschinen - wofür auch die professionellen Schweißnähte sprachen. Dabei drehte es sich wohl um das Exemplar
für den Miehlener Händler. Bei einem Treffen in Nürnberg klärten ihn Hans Best und Helmut Radke später über diese Maschinen auf.
Sie hatten auch Fotos dabei. Das beschreibt Manfred im Infoheft 3+4/1992 der Victoria–IG. Offenkundig hat ihm Radke dabei
nicht erzählt, dass noch eines dieser Motorräder existierte.
Uwe Habersetzer baute sich mit dieser Vorlage eine Replika (siehe Foto). Sein Bericht davon steht im Infoheft 2/2004.
Die zweite Maschine - eine der letzten - war von 1957 bis 1970 im Besitz von Karl–Heinz Dotterweich. Von 1970 bis 1978 hatte sie zwei
weitere Besitzer, wurde nach einem Abstecher 1994 an ein IG–Mitglied abgegeben und 1999 an ein weiteres. Der Mann gab das
Motorrad wiederum - noch in der letzten, oben beschriebenen Originalausführung - 2004 an ein weiteres Mitglied aus Helmbrechts. Eigentlich
sollte es klar sein, dass so eine Rarität unverändert in eine Sammlung oder besser, ein Museum gehört, doch leider wurde das Motorrad wohl
teils auf Victoria–Originalteile rückgebaut (Namen sind mir bekannt). Helmut Radke erzählte Gert Zimmer bei einem Treffen mehr zu diesem
Motorrad.
Volker (Löber) hat die unveränderte Maschine noch bei Gert Zimmer und seinem Vater gesehen. Gert ist sie auch gefahren und meint, sie sei
wirklich sehr gut „gegangen”. Zum Glück hat er noch Fotos und Informationen dazu und überließ sie mir mit dem ausdrücklichen Hinweis,
dass diese nur für mich gedacht seien. Vielen Dank dafür!
Abgesehen von der Fülle anderer Details: Beachtet beim zweiten Foto den steil nach unten zeigenden Schalthebel. Die anderen Maschinen
hatten vorne nach unten gekröpfte Hebel. Ebenfalls gut zu sehen: Der abgeschnittene Motor und die Schwinge samt Lagerung.
So modern die Enduro–Maschine auch wirkt: Die sogar leicht nach hinten gekippten Federbeine stören den guten Eindruck ganz erheblich.
Das hätte man - bei gleichem Federweg - wesentlich eleganter lösen können. Gut gemacht sind hingegen der vordere Adapter
für den MZ–Kettenschlauch und die Lage der Schwingenachse auf Höhe des Kettenritzels. Näher an das Ritzel ging's
nicht wegen der hinteren Motorbefestigungen und dem Anschlag für das Kickstarter–Zahnradsegment.
Bis auf den etwas abenteuerlichen Bremsanker hinten (mit einer Fußrasten-Aufnahme!) und den zuletzt fehlenden Hauptständer sehe ich an der
Maschine nichts, was gegen eine TÜV–Abnahme und eine Zulassung spricht - zumal Heck und Schwinge ja im Werk
gebaut wurden. Tatsächlich war das Motorrad zugelassen. Das macht es noch unverständlicher, warum dieses Stück Kulturgut rückgebaut wurde.
Es gäbe sicher noch mehr zu den Maschinen zu sagen - und es gibt noch mehr zeitgenössische Fotos. Für hier und jetzt mag der Überblick
genügen, zumal die Bilder mehr sagen als tausend Worte. Diese sieben ohne offizielle Unterstützung gebauten KR 26 ziehen den
Schlussstrich unter die 1937 eingeführte „Neue Linie” von Victoria.